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Gerade als Capra sich bei Alexa beschweren wollte, dass sogut wie nie ein Verbrechen - also ein richtiges, vernünftiges Verbrechen, ein Mord - in der Spiralstadt stattfand, entdeckte ihr geübter Detektivinnenblick hinter der nächsten Straßenecke etwas hervorschimmern. Etwas rotes. In der Sonne glitzerte der große Fleck ganz verführerisch..
"Blut!", so schallte der gellende Schrei des Ziegenmädchens durch die Straße. Er war nicht etwa entsetzt, sondern eher.. Entzückt..
Mit drei Sätzen war sie bei der Lache und beugte sich professionell mit ihrer Lupe darüber. Der Fleck war bereits angetrocknet und von rostbrauner, durchaus blutiger Farbe. Erfreu klatschte das Ziegenmädchen in die Hände und zeigte an Alexa gewandt auf den Fleck.
"Blut! Sicherlich Blut! Die Überreste eines überaus grausamen Mordes! Nun muss ich nurnoch meine Leiche finden, und schon kann der ganze Spaß losgehen!"
Fröhlich versuchte sie mit ihrem Spatel, etwas von der Masse abzukratzen, doch vergeblich.
"So krieg ich nie genug für eine Probe zusammen!" jammerte das Mädchen.
"Ich muss den berühmten Sherlock Holmes-Test also vor Ort durchführen.."
Enthusiastisch kramte das Ziegenmädchen in ihrer Tasche und den Taschen ihres fleckigen Laborkittels. "Verdammt! Ich habe die Nachweismaterialien nicht bei mir.. Wie nachlässig.. Egal, zu Hause habe ich sie natürlich vorrätig. Wir gehen kurz zu mir und holen sie, und dann komme ich gleich wieder her!"
Verzückt quietschte sie und packte Alexa fröhlich an der Hand um sie hüpfend die Straße zu ihrem Haus entlangzuziehen. Das - nahm man ihre Mordtheorie für voll - in der Gegend ein Mörder herumlaufen konnte, schien sie nicht im geringsten zu beunruhigen.
Als sie auf dem Rückweg an Augusts Haus vorbeikam, hielt sie kurz inne. "Warte einen Moment.. Zuerst muss ich diesem Tölpel, diesem Henry, eine kleine Standpauke wegen seines - von mir entdeckten - Möchtegernverbrechens halten. Einfach ohne Maskierung Parolen auf Hauswände schmieren.." Entrüstet schüttelte sie den Kopf, sodass die Ziegenohren nur so schlackerten.
Sehr zu ihrer Freude wurde ihr wildes Geklopfe mit dem schweren Türklopfer nicht beantwortet.
"Niemand zu Hause.. Sehr verdächtig.. Und das wo doch nur ein paar Meter weiter ein Mord passiert ist! Daraus schließe ich.. Entweder dieser Henry ist der Mörder und hat seinen Bruder umgebracht - vermutlich, weil dieser ihn wegen der Parolen-Geschichte erpressen wollte -; oder er ist das Opfer und ich finde seine Leiche in ein paar Stunden irgendwo. Dann ist August ein Mörder. Hach, man stelle sich vor, ich wohne vermutlich neben einem Mörder!"
Ganz hyperaktiv begann sie zu quietschen. Währenddessen schmierte sie mit einem alten Füller eine Notiz, die die Brüder dazu aufforderte, sie gefälligst sobald als möglich zu besuchen und klebte diese mit irgendeiner Chemikalie an deren Haustür.

Ein Mord in der Spiralstadt?
Alexa, die bisher Capras scheinbare Spinnereien nicht hatte ernst nehmen wollen, war nun beunruhigt. War etwa tatsächlich ein Verbrechen geschehen? Hier, in ihrer geliebten, friedlichen Spiralstadt?!
Denn nun hatte sie es doch selbst gesehen, das Blut. Wie verräterisch es an der Straße klebte, weil der Täter es nicht vollständig entfernt hatte! Und da die Blutlache so groß gewesen war, konnte man doch auch nicht länger von einem harmlosen Unfall aussehen!!
War Capra etwa ein geniales Genie, die als Erste und Einzige dieses unterschlagende Verbrechen aufgeklärt hatte? Aber halt- es war ja noch gar nicht aufgeklärt, es war lediglich entdeckt worden!!
Alexa wurde ganz anders bei dem Gedanken, dass irgendwo in der Spiralstadt oder in der Umgebung die Leiche liegen musste. Oder konnte die Person noch leben? Alexa hatte keine Vorstellung, wieviel Blut im Körper eines Menschen war. Aber auf der Straße war doch soviel gewesen und wenn ein Mensch nun vielleicht einen oder zwei Liter Blut im Körper hatte.. Nein, diese arme, bemitleidenswerte Opfer war bestimmt tot. Und..
Alexa blieb kurz stehen. Das bedeutete.. Der Täter lief ja noch irgendwo frei herum!!
Ängstlich machte Alexa sich etwas kleiner und lief hastig neben Capra her. Auf keinen Fall wollte sie nun allein hier draußen herumlaufen, vielleicht würde sie die Nächste sein, was dann??
Die hübschen Gassen der Spiralstadt erschienen ihr auf einmal sehr bedrohlich und unheimlich.
Doch glücklichweise waren sie ja schon an Capras Haus angekommen und sie war froh, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten und in sicheren vier Wänden waren.
Capra informierte Alexa darüber, dass sie sofort diesen wissenschaftlichen Test durchführen müsse (welchem Alexa nicht recht folgen konnte, als Capra ihr erläuterte, was genau sie tun würde, darum lächelte und nickte Alexa brav) und Alexa in der Zeit tun könne was sie wolle.
Und bevor Alexa irgendwie protestieren konnte, war Capra auch schon verschwunden.
Aber Alexa war in Capras Haus ja hoffentlich sicher. Also beschloss sie, das Beste daraus zu machen und sich abzulenken, indem sie tat, weshalb sie hergekommen war- waschen und aufräumen.
Doch Alexa war darin geübt, weshalb ihre Gedanken dabei doch wieder abschweiften.
Ob Capra dieses Verbrechen aufklären könnte?? Zwar zweifelte Alexa nicht länger, dass Capra dazu in der Lage wäre, doch wie lange würde es dauern?!
Und was war mit Henry?! Was, wenn der Mörder IHN als nächstes aussuchen wurde! Oh Gott!
Alexas Angst wuchs, was sollte sie nur tun? Waren sie vielleicht alle in Gefahr?
Auf einmal klopfte es an der Tür und Alexa zuckte zusammen. War dies der Mörder, der gekommen war um sie zu holen?!

August und Henry hatten ihre kleine Besichtigung der sehr einzigartigen Spiralstadtkirche abgeschloßen und waren auf dem Weg nach Hause. Henry hatte den Kirchenbesuch als Anlass genommen, mehrere Gedanken über Glaubensfreiheit vorzubringen, und so waren die Brüder noch ins Gespräch vertieft, als sie vor Augusts Haustür ankamen.
Dort sahen sie zu ihrer Überraschung einen großen, orangenen Zettel prangen, der allem Anschein nach aus einem Notizbuch ausgerissen war. In schludriger, geschwungener Schrift konnten sie lesen:
"Kommt unauffällig zum Haus nebenan. Lasst euch nicht verfolgen. Ich kenne euer Geheimnis und muss mit euch reden.
Eine Freundin."
Die beiden sahen sich verwirrt an. Das Haus nebenan.. Es konnte sich nur um das den Ziegenmädchens handeln, über dessen Türrahmen in orangenen Buchstaben "Capra, Privatdetektivin" geschrieben stand.
August hatte insgeheim ja schon immer die Vermutung gehabt, dass das Mädchen irgendwie.. Nicht ganz richtig im Kopf war. Zumindest hatte sie bisher jedesmal, wenn sie miteinander geredet hatten, etwas von Morden, Erpressung, Blut und so weiter geredet. Andererseits hatte sie auch reges Interesse an seinen Sternenforschung, was ihm bisher noch nicht allzu häufig untergekommen war.
Doch.. Was für ein Geheimnis war gemeint?
Er seufzte und wandte sich an seinen unwissenden Bruder. "Wir sollten besser gleich vorbeischauen. Ich traue ihr zu, dass sie sonst mein ganzes Haus mit Fingerabdruckpuder bestäubt.."
Und so schlenderten sie zum Haus der Ziege hinüber und klopften, noch immer etwas verwirrt, an die Haustür. Als keine Reaktion kam, klopfte August nochmals. Sie klebte doch nicht etwa Zettel mit.. Nunja, Einladungen.. An anderer Leute Haustüren um dann selbst nicht da zu sein..

Es klopfte weiter an der Tür. Alexa wusste, dass sie irgendwie reagieren musste.
Sie griff nach einer Bratpfanne und hielt sie schützend vor sich, während sie sich langsam der Tür näherte (obwohl ja eigentlich nichts passieren konnte, solange sie die Tür nicht öffnete).
Langsam berührte sie den Türgriff. Sie musste jetzt schnell reagieren, sonst würde er sie erwischen!
Dessen war sie sich sicher. Also holte sie einmal tief Luft.
Dann riss sie die Tür auf und schleuderte die Bratpfanne gegen die Person, die dort stand. Sie hörte ein lautes "Plong", ein Ächzen und die Person ging zu Boden.
Langsam ließ sie ihre Bratpfanne sinken und sah nun, dass hinter der Person die sie erwischt hatte, August stand. Dieser sah sie entgeistert an.
Moment, August. August? August?? Wenn das August war.. hatte sie dann..
Sie wagte es gar nicht hinabzusehen, und als sie sich doch überwunden hatte, wurde ihre größte Angst bewahrheitet. "Henry!" quietschte sie entsetzt und kniete sich schnell zu ihm herab. Er stöhnte.
"Oh Gott was habe ich getan?? Es tut mir so so so so leid! So unendlich leid! Oh Gott!"
Da lag er, ihr Held, sie hatte ihn einfach niedergestreckt! Sie hatte ihn geschlagen! Das also sollte ihre erste Berührung gewesen sein, nachdem das Kennen lernen bereits so katastrophal verlaufen war?
Sie schüttelte deprimiert den Kopf. Wie hatte das nur geschehen können?
Gemeinsam mit August trug Alexa Henry vorsichtig hinein und er legte sich hin. Alexa, welche bereits errötet war als sie Henrys starke, muskulöse Arme auf ihrer Schulter fühlte, musste ihr Herz beruhigen, als sie ihn da so liegen sah. Schnell suchte sie ein paar Kissen zusammen, um es Henry bequem zu machen. Dann überlegte sie. Sollte sie August etwas zu Trinken anbieten? Es war ja nicht ihr Haus. Außerdem müsste sie dann das Schweigen brechen und davor fürchtete sie sich. Was musste August nur von ihr halten? Und Henry erst?!
Hatte sie nun alles kaputt gemacht? Alexa war (wieder einmal) den Tränen nahe. Wie sollte sie ihnen das alles nur je erklären?

August hatte bisher kaum Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was gerade geschehen war. Henry hatte nochmals kräftig gegen die Haustür geschlagen, sie hatten Schritte gehört, die Tür hatte sich geöffnet, und plötzlich.. Ein lauter Schlag und sein Bruder lag am Boden! In der Tür war das merkwürdige Hausmädchen gestanden, genau das, das vorhin die Sauerei im Restaurant verursacht hatte..
Nun stand er ratlos in der Wohnung des Ziegenmädchens, die Hände reichlich verlegen in seinen Hosentaschen, und schaute auf seinen Bruder hinab, der auf einem Cheselon lag, von Kissen gestützt. Das Mädchen schien in der Tat reichlich entsetzt zu sein, und außer dass es ihr leid tat, hatte August bisher auch noch keine Erklärung von ihr gehört.. Auch Henry schien noch einigermassen unter Schock zu stehen und lag still und verwirrt auf seinem Sofa.
Noch immer sehr verlegen rieb er sich die Schläfen.
"Ich entnehme all dem, dass es sich um ein Missverständnis handelte, als mein Bruder die Bratpfanne auf den Kopf bekam.. Doch.. Für wen hast du uns gehalten?"
Was machte das Mädchen überhaupt im Haus der Detektivin? Sie hatte doch nicht etwa am Ende selbst den rätselhaften Zettel an seine Türe gehängt? Hatte sie etwa ihn niederschlagen wollen?
Er war wirklich äußerst verwirrt. Zudem kannte er sie doch sogut wie überhaupt nicht.

Alexa wusste nicht recht was sie sagen sollte, doch sie war den beiden natürlich eine Erklärung schuldig. Doch wie sollte sie anfangen?
Während sie nach Worten suchte, setzte sie Teewasser auf und stellte ein paar Kekse auf den Tisch. Sie war in diesem Moment vieles, doch eine schlechte Gastgeberin wollte sie nicht sein. Sie würde Capra etwas von ihren eigenen Sachen zur Entschädigung mitbringen, da sich Alexa nun an ihren Sachen bedienen musste.
Das Wasser kochte, Alexa stellte drei Tassen bereit und kam mit dem Tablett zurück. Nun musste sie langsam wirklich etwas sagen. Sie kam sich irre dumm vor, doch sie musste die Wahrheit sagen, etwas anderes kam wohl nicht infrage.
Also erzählte sie von dem mysteriösen Blutfleck, welchen Capra und sie auf dem Heimweg entdeckt hatten, und dass Capra sich auf den Weg gemacht hatte um das alles näher zu untersuchen. Und dass Alexa hier geblieben sei um ein wenig Hausarbeit zu verrichten, sie jedoch große Angst vor dem Mörder hatte und dass es einfach mit ihr durchgegangen sei, als die beiden an der Tür geklopft hatten.
„Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass auch jemand Normales an der Tür sein könnte, ich war mir nur so sicher, dass der Mörder mich jetzt holt! Ich hatte einfach Angst! Es tut mir ja so leid! Ich hätte besser aufpassen sollen. Aber..ich.. das Klopfen.. und das Blut.. und.. ich war doch alleine.. und.. ich dachte nicht das..“
Alexa schluchzte und konnte keine Sätze mehr vollenden. Erst hatte sie sich in Fy’s Restaurant blamiert, doch das war ja wohl eine Lappalie zu dem hier. Wollte dieser Tag denn niemals enden?
Jetzt war sie für Henry vermutlich nicht mehr „Alexa, das tollpatschige Hausmädchen“ sondern „Alexa, das tollpatschige Hausmädchen, das gerne mit Bratpfannen um sich schlägt!“
Wie sollte sie das je wieder gut machen? Mit ein paar Keksen oder etwas Hausarbeit ließ sich das nie wieder gutmachen. Was sollte sie nur tun? Ob sie Henry fragen sollte, was er sich als Entschädigung wünsche?
Dann könnte sie den Wunsch erfüllen und zudem noch mehr tun.. doch war es damit wirklich getan?
Doch war, wenn der Edelmann, der Henry ja ganz offensichtlich und ohne jeden Zweifel war, keine Entschädigung verlangte?? Oh, niemals könnte sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren, nie! Irgendetwas würde sie tun müssen und da die Gefahr bestand, dass er ablehnte, musste sie vermutlich davon absehen, ihn zu fragen, was er wollte.
Oh wüsste sie doch nur etwas als Ausweg für dieses Dilemma!

August war nun wirklich auch ziemlich mit der Situation überfordert. Aus dem Gestammel des Mädchens konnte er entnehmen, dass es in der Spiralstadt einen Mord gegeben hatte - laut dem Ziegenmädchen.. Der einzige Beweis hierzu schien ein roter Fleck auf der Straße zu sein - der so ziemlich alles andere außer Blut sein konnte.
Er schielte zu seinem Bruder hinüber, der immernoch unglaublich perplex und sprachlos (was bei Henry wirklich selten war) auf dem Cheselon lag und sich seinen Kopf hielt. Zumindest schien er keinen bleibenden Schaden erhalten zu haben.
Als Alexa dann auchnoch zu Schluchzen begann, fühlte August sich verantwortlich, irgendetwas zu unternehmen. Leider konnte er mit Damen - oder eher Mädchen, eine Dame konnte man das junge Dienstmädchen ja wohl kaum nennen - nicht halb so gut umgehen wie sein Bruder. Der wüsste jetzt bestimmt, was er tun müsste.
Etwas hilflos legte August also seinen Arm um Alexas Schulter, manövrierte sie zu einem der Sessel und versuchte, ein paar tröstliche Worte zu finden und versicherte ihr, dass er ihre Angst wegen des Mörders verstehen würde, sie sich deshalb aber keine Sorgen machen sollte, weil laut Capra so ziemlich jeder in der Spiralstadt ein Mörder war, es hier aber noch nie eine Leiche gegeben hatte.
Außerdem war Henry ja nicht passiert, und überhaupt. So ein Fehler konnte schließlich jedem unterlaufen. Das gab maximal eine dicke Beule und einen Bluterguss, vielleicht auch eine Gehirnerschütterung und Henry würde für ein paar Stunden nur schwarz-weiss sehen. Tötliche innere Blutungen höchstwahrscheinlich nicht, und zudem war es ja auch bei weitem nicht das erste Mal, dass sein Bruder etwas auf den Kopf bekommen hatte.
So brabbelte er unbeholfen auf das schluchzende Mädchen ein. Hoffentlich hörte sie bald wenigstens auf, zu weinen!

Henry brauchte nicht allzulange, um sich von dem Pfannenschlag zu erholen. Wie August schon bemerkt hatte, war es wirklich nicht das erste Mal, dass er etwas auf den Kopf bekommen hatte, und diesmal hatte er wenigstens nicht alles vollgeblutet, wie damals, bei der hässlichen Schläfenverletzung, von der er noch immer eine blasse Narbe hatte. Pazifisten hatten es manchmal wirklich schwer.
Als er sich wieder einigermassen gesammelt hatte, realisierte er, dass dieses tollpatschige Hausmädchen, das anscheinend auch durchaus gerne mit Pfannen um sich schlug, schluchzend in einem Sessel saß und sich anscheinend garnichtmehr fangen konnte.
Da er wusste, wie es um Augusts Tröstkünste bestellt war, stand er vorsichtig vom Cheselon auf, wartete, bis die vielen Sternchen aufhörten um seinen Kopf zu kreisen, und ging dann langsam ins Eingangszimmer hinüber. Dort lies er sich auf den freien Sessel fallen und bedeutete seinem Bruder mit einem Blick, das Trösten besser ihm zu überlassen. Dieser verstand auch und verstummte.
Henry lächelte Alexa etwas unsicher an. Er konnte Hausmädchen immer sehr schlecht einschätzen, da er ihnen normalerweise nie allzuviel Beachtung schenkte. Und Alexa hier schien auchnoch besonders jung zu sein.. Eigentlich noch ein Kind.
"Sehr her, es geht mir schon wieder bestens! Zumindest, wenn man das Nasenbluten außer Acht lässt.."
Er hatte beim Fallen mit der Nase auchnoch den Türrahmen tangiert. Vielleicht hätte er das Blut wegwischen sollen, bevor er mit Alexa sprach, doch daran hatte er in dem Moment überhaupt nicht gedacht. So schnapte er sich eine von Capras besten Stoffservietten vom Tisch und hielt sie sich unter die Nase.
"Schaut, schon sieht man überhaupt nichtmehr, dass du mich ein bisschen mit dieser Pfanne geschlagen hast.
Die Aktion selbst ist übrigens durchaus verständlich, wenn auch nicht unbedingt idealistisch pazifistisch. Ich selbst bin ja Pazifist, und Idealist dazu.
Oh, du hast Tee gemacht, wie aufmerksam." Fröhlich schenkte er sich ein. Als Hausmädchen war sie vermutlich nichteinmal schlecht, wenn auch ziemlich tollpatschig und gewaltbereit.
Nachdenklich schaute er sie an. Anscheinend hatte ihr die ganze Pfannengeschichte mehr zugesetzt als ihm und August, und sie bräuchte jetzt ganz dringend Ablenkung.
"Ich nehme an, du hast heute einen freien Tag? August und ich, wir waren gerade auf dem Weg zu einem Picknick in den Park, möchtest du nicht zufällig mitkommen? Ich glaube ein Ortswechsel und etwas frische Luft würde und allen ganz gut tun. Und.."
Lächelnd lies er die Serivette mit seinem Blut drauf auf den Teppich fallen. "Capra wir uns sicherlich finden. Immerhin ist sie eine Detektivin, nicht?"
Hoffentlich weinte sie jetzt nicht noch mehr.. Eigentlich wusste Henry auch nicht, was ein Hausmädchen beim Picknick mit den Brüdern wollte. Er würde über Politik und Literatur reden, August über Wissenschaft und Sterne. Und sie hatte vermutlich weder vom einen, noch vom anderen viel Ahnung.
Nunja, sollte sie eben gehen, wenn ihr langweilig wurde. Zumindest der Höflichkeit halber hätte er sie eingeladen.

Als August mit seinen grandiosen Tröstungsversuchen ansetzte, versetzte dies Alexa nur noch mehr in Unruhe. Henry musste leiden und das nur wegen ihr!! Sie war ja SO ein schlechter Mensch.
Wie könnte er ihr je verzeihen? Und wie sollte sie sich das nur jemals verzeihen?! Es gab keinen Ausweg.
Doch dann stand Henry auf, beteuerte seine Gesundheit und lud Alexa auf ein Picknick ein. Ein romantisches Picknick, nur mit ihr!
Und mit seinem Bruder, aber das war irrelevant. Mit IHR!
Vor lauter Schreck hörte sie tatsächlich auf zu Schluchzen und es gelang ihr, sich zu fangen. Sie wollte doch keine Heulsuse sein!
"Es.. es wäre mir eine große Freude!" stammelte sie leicht nervös, aber glücklich. "Ich habe zuhause noch etwas frisches Gebäck und könnte noch ein paar andere Leckereien zusteuern, falls es euch Recht ist!"
Nach all den Unanehmlichkeiten wollte sie heute zumindest ein einziges Mal glänzen und ihre Koch- und Backkünste waren tatsächlich nicht zu verachten. Und da sie all das angefertigt hatte bevor sie Henry begegnet war, gab es auch keine große Gefahr, dass sie sich durch Ablenkung im Rezept vertan hatte, also dürfte ihnen das Essen WIRKLICH schmecken.
Es war nicht viel was sie anbieten konnte, doch sie wollte ihr Bestes tun. Vielleicht könnte sie sich noch ihr hübsches, grünes Sommerkleid anziehen und ihre Haare.. Irgend etwas musste mit ihren Haaren geschehen!
Doch es musste schnell gehen und sie durfte nicht übertreiben, sie wollte auf keinen Fall zu gewollt aussehen.
Ob ihr Madame Beatrice vielleicht einen Rat geben könnte?
Also schlug sie den Brüdern vor, dass sie sich in einer Stunde treffen könnten. Eine Stunde war ja so kurz!
Dass Capra sie finden würde war ihr klar, schließlich war Capra eine tolle Detektivin. Und auch wenn Henry nichts aktiv für Alexas Schutz getan hatte, so hatte er doch eines erreicht- er hatte tatsächlich ihre Angst vor dem Mörder vertreiben können.

Henry versicherte Alexa, dass er sich auf die Plätzchen sehr würde und dass sie in einer Stunde im Park sein würden.
Anschließend zog er sich mit August in dessen Haus zurück.
"Wie schaffst du es überhaupt, hier zu leben? Die Stadt mag ja ganz schön sein, und die Bewohner sind auch.. Nett.. Aber sind die nicht alle geisteskrank? Ich meine.. Eine manische Detektivin, ein Hausmädchen, das mit Pfannen um sich schlägt.. Der komische Pfarrer, von dem du mir erzählt hast - nicht, dass ich ein großer Freund der konventionellen Kirche wäre-"
Er seufzte. Nach dem politischen System dieser kleinen Gemeinde zu fragen, traute er sich überhaupt nicht. Vermutlich gab es hier noch soetwas wie einen Dorfschamanen..
Immerhin, in ein paar Tagen, wenn in der Stadt nichtmehr nach ihm gesucht würde, könnte er zu seinen normalen Freunden zurückkehren. Bis dahin hätte er sicherlich auch einiges zu erzählen. Vielleicht würde daraus sogar ein guter Roman werden.

Nachdem der Sherlock Holmes Test nicht angeschlagen hatte, hatte Capra an der Pseudoblutlache unzählige andere Tests ausprobiert, bis sie dann auf eines der unwahrscheinlichsten Ergebnisse gekommen war - es handelte sich um handelsübliche Farbe. Farbe! Wie erstaunlich..
Obwohl sie somit nicht ihren Mord hatte, war die Detektivin keinesfalls entmutigt. Für sie war jedes Ergebnis ein Ergebnis, und immerhin - sie hatte herausgefunden und wissenschaftlich bestätigt, dass es Farbe war!
Nun war es wohl an der Zeit, zu Alexa zurückzukehren und sie etwas auszuhorchen. Das Mädchen langweilte sich bestimmt schon.
Zurück in ihrer Wohnung erlebte Capra einen kleinen - freudigen - Schock: Die Türe stand sperrangelweit offen, und, das beste - auf dem Boden lag eine blutige Serviette! Diesmal schlug der Sherlock Holmes Test an, es handelte sich eindeutig um Blut!
Heute war wohl Capras Glückstag, in ihrer Wohnung hatte es eine Verletzung geben! Sicher eine Schießerei, oder eben.. Einen Mord! Fehlte nurnoch die Leiche!
Nachdem sie einen kurzen Blick durch die Wohnung geworfen hatte - auf dem Tisch standen drei Tassen, ein kurzer DNA-Test zeigte, dass zwei davon Alexa und August gehörten. Von der letzten DNA fand Capra in ihrer Datenbank keine Vergleichsprobe, weshalb sie Henry vermutete. Von diesem stammte also auch das Blut auf der Serviette.
Außerdem war auf dem Cheselon jemand gelegen..
Alexa hatte also die beiden hereingelassen, sie waren wegen der Nachricht gekommen. Dann hatten sie Tee getrunken, dabei war es zum Streit gekommen. Vermutlich wegen des Geheimnisses. Die beiden Brüder hatten dann zusammen Alexa getötet, wobei sich Henry verletzt hatte.
Oder Alexa hatte die beiden Brüder mit dem Tee vergiftet und eine Innerei Henrys entnommen.
Oder August hatte seinen Bruder getötet - ein Motiv würde Capra schonnoch finden - und Alexa verschleppt.
Hach, es gab so viele wundervolle Möglichkeiten, und es war an der Hobbydetektivin, herauszufinden, welche der Wahrheit entsprach! Am Hilfreichsten wäre in diesem Fall wohl eine Leiche.
Fröhlich machte sie sich auf, diese zu suchen.

Beatrice hörte, wie jemand die Eingangstür öffnete. Sie fragte sich wer das sein konnte, doch als sie ein lautes Plumpsen hörte, wusste sie Bescheid.
Also war Alexa wieder da und war wieder mal die Stufen nahe der Tür heruntergefallen! Das passierte ihr immer, wenn sie aufgeregt war.
Beatrice schüttelte lächelnd den Kopf. Sie hatte einen guten Tag, weshalb sie diese Tollpatschigkeit ihrer Angestellten übersehen konnte.
Sie war eine überraschend gute Sklav.. äh, Hausmädchen. Sie stolperte zwar oft, gerade wenn sie nervös war, doch im Vergleich zu den letzten Jahren hatte sie sich sehr gesteigert.
Außerdem musste man ihr zugutehalten dass sie nicht nur sehr lernfähig war, sondern sie offen für viele verschiedene Bereiche war, weshalb sie Beatrice eine wichtige Hilfskraft war und zu den wenigen im Haus gehörte, die eine feste Anstellung im Haus hatte um welche sie nicht bangen konnte.
Und da kam sie auch schon hereingeschneit, mit hochrotem Kopf und verbeugte sich kurz. "Entschuldigen Sie, Madame!" sagte sie keuchend, doch Beatrice winkte ab. "Was ist denn los, Kind?" fragte Beatrice. Alexa hatte Glück, dass Beatrice gerade nichts zu tun hatte, denn ansonsten hätte sie sich wohl kaum um die Sorgen ihres Hausmädchens interessiert.
Alexa, welche nicht alle Peinlichkeiten erzählen wollte, erklärte in wenigen Sätzen, das sie zu einem Picknick mit einem werten Herren eingeladen worden war und sie sich darum umziehen müsse.
Beatrice lächelte ein wenig über den naiven Enthusiasmus dieser Kleinen.
Sie war so.. anders. Und wirklich hübsch. Allerdings noch so klein und zierlich, mehr Kind als Dame. Nicht wirklich mit einer Blume zu vergleichen, eher mit einem Spross!
Wäre Alexa fünf Jahre älter, hätte Beatrice vermutlich nicht einmal im Traum daran gedacht, ihr zu helfen.
Doch so fand sie einen gewissen Gefallen daran- sie betrachtete es als eine Art Übung, welche ihr ihren Sinn für Schönheit und Ästhetik bestätigen konnte.
Sie schickte Alexa in ihr Zimmer, damit sie ihr grünes Sommerkleid anziehen konnte. Währenddessen suchte sie einen Strohhut und ein farblich passendes Band. Dies war natürlich kein Geschenk für dieses Arbeiterkind - wer würde so etwas JE anmaßen?! - sondern lediglich eine Anleihe. Alexa würde dafür ein wenig mehr arbeiten müssen. Das würde sie ihr allerdings erst am nächsten Tag sagen..
Alexa kam in den Raum. Dieses Kleidchen war tatsächlich sehr süß. Man würde sie niemals als erwachsen erachten! Niedlich. Beatrice kicherte und schmückte das Mädchen mit Hut und Band. "Eine vorzügliche Wahl!" lobte sie sich selbst. Dann öffnete sie ihr die Zöpfe und Alexa kämmte ihre Haare ein wenig.
Alles war sehr schlicht und kein wenig aufdringlich, aber durchaus süß und angemessen für ein kleines Picknick.
Beatrice schmunzelte und musste sich fast ein Lachen verkneifen. Alexas Nervosität war unübersehbar und sie würde am liebsten selbst am Picknick teilnehmen, nur um zu sehen, was genau passiert.
Allerdings verzichtete Beatrice gern darauf, sich auf den Boden zu setzen und "irgendwas" zu essen. Darum sah sie Alexa zu wie sie einen Picknickkorb mit ein paar Leckereien füllte (und dabei dreimal stolperte, doch auf wundersame Weise schaffte sie es, nichts zu Boden zu bringen) und dann hektisch aus der Tür stürmte.
Ein paar Sekunden war es still. Dann stürme Alexa noch einmal kurz zurück, verneigte sich vor Beatrice und rief "Ich danke Ihnen sehr, Madame! Wirklich, vielen Dank!"
Und mit diesen Worten stürmte sie wieder hinaus und Beatrice fühlte in dem Moment aus irgendeinem Grund Stolz für das kleine, rothaarige Mädchen.

Alexa war den ganzen Weg gerannt, um sicherzugehen, dass sie vor Henry da sein würde.
Und seinem Bruder, doch den hatte Alexa komplett vergessen.
Alexa suchte sich eine schöne, schattige Stelle aus und legte eine weiche Decke aus. Dann begann sie, sorgfältig das mitgebrachte Essen und Trinken auszupacken. Ob es Henry schmecken würde?
Sie musste dringend herausfinden was er so mochte, damit sie ihm an Feiertagen etwas besonderes Kochen und Backen konnte! Solche unwichtig wirkenden Details konnten in einer Beziehung das Glück ausmachen, das wusste Alexa!
Innerhalb weniger Minuten war sie fertig und so begann sie, ganz viele Gänseblümchen zu pflücken, um aus ihnen eine Kette zu pflechten. Dies erinnerte sie an glückliche Zeiten mit ihrer Mama. Nicht, dass die glücklichen Zeiten geendet hätten, doch mit ihrer Mama, die sie selten sah, konnte sie so etwas nicht oft machen. Sie beschloss, ihrer Mama heute Abend einen Brief zu schreiben, um ihr von ihrem künftigen Schwiegersohn zu berichten. Und falls sie es schaffen sollte, ein paar Fotos von Capra zu bekommen, könnte sie sogar ein Foto beilegen!
Alexa presste glücklich die halbfertige Kette an ihre Brust. Das waren so herrliche Vorstellungen! Sie konnte es kaum erwarten.
Die Kette wurde immer länger. Früher pflegte sie sich Kränze für ihren Kopf zu machen, doch nun trug sie ja den edlen Strohhut von Madame Beatrice, welchen sie nicht für ein paar Blümchen abzunehmen wagte. Sie fühlte sich gerade wahnsinnig wohl.
Doch dieser Zustand währte nicht lange an, denn kaum war ihre Kette fertig, hörte sie ein paar Geräusche und als sie aufsah, kamen ihr August und Henry entgegen.
Alexas Herz begann gleich viel schneller zu schlagen, doch sie zwang sich zur Ruhe.
Dies war die dritte Begegnung an diesem Tage mit ihrem Traumprinzen, doch diesmal wollte sie nichts falsch machen! Dieses Mal würde ihr alles gelingen.

Henry und August erreichten den Park, wie üblich, etwas unpünktlich.
Als Henry Alexa inmitten von Nahrung so sitzen sah, wunderte er sich schon etwas. Wer sollte das alles bitte essen? Und in ihren Händen hielt sie ernsthaft.. Eine Blumenkette!
Ein flüchtiges Lächeln huschte ihm übers Gesicht. Sie war eben wirklich noch ein Kind.
Inzwischen war er von seiner Idee, sie zum Picknick einzuladen, auch überhaupt nichtmehr begeistert. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Sie hatten doch überhaupt keine gemeinsamen Interessen, ja sie gehörten nichteinmal derselben Altersgruppe an.
Wenn an ihrer Statt nur seine Göttin aus der Stadt hier wäre.. Sein Herz begann sofort schneller zu schlagen, seine Hände wurden feucht, und seine Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. Sie, die namenlose Schönheit, war die große Liebe seines Lebens, soviel war sicher. Er würde alles für sie tun, würde sich verzehren nur für eine Berührung von ihr.. Ihm wurde ganz schwindelig, er fühlte sich betrunken.
Als er, aus diesem Traum erwachend, wieder einen Blick auf den Picknickplatz und Alexa warf, wurde seine Sehnsucht nur noch größer. Er musste sie unbedingt sobald wie möglich wiedersehen. Das Picknick mit seinem Bruder - den er zwar unglaublich gern mochte, der solche Dinge aber eben einfach nicht verstanden - und mit Alexa - einem tollpatschigen Dienstmädchen, das ihm zudem eine Pfanne auf den Kopf geschlagen hatte - kam ihm nun noch schnöder vor.
Hoffentlich bemerkte man die Beule durch seine dichten Haare wenigstens nicht. Er wollte auf seine Angebetete ja nicht wie ein Schlägertyp wirken. Schließlich war er Pazifist!
In seine Tagträume versunken, lies er sich auf die Picknickdecke sinken. Alexas Anwesenheit hatte er vollkommen vergessen.

August wunderte sich kaum über das merkwürdige - und Alexa gegenüber wohl auch unhöfliche - Benehmen seines Bruders. In den letzten Jahren hatte er unzählige dieser Phasen miterlebt. In ein paar Wochen würde es vorrüber sein, sein Bruder würde in tiefste Depressionen und Selbstmordgedanken versinken, und kurz darauf hätte er eine neue Liebe seines Lebens gefunden.
August würde seinen Bruder ehrlichgesagt wirklich gerne einmal verheiratet - oder wenigstens in festen Händen - sehen, um diese dauernden Schwankungen zu unterbinden. Leider hatte er darauf in allzunaher Zukunft keine Hoffnung.
Also würde der Smalltalk-Teil wiedereinmal an ihm hängen bleiben. Er versuchte, seinen abgedrifteten Bruder zu ignorieren und lächelte Alexa freundlich an.
"Wie ich sehe hast du schon alles vorbereitet. Einen schönen Platz hast du ausgesucht, und die Kekse sehen auch ganz vorzüglich aus! Nicht wahr, Henry?"
Henry zupfte nur geistesabwesend an einem Gänseblümchen herum und schien ihn nicht zu hören.
"Jedenfalls.. Vielen Dank für das ganze Essen. Es ist schön, dass du uns begleitest. Mein Bruder wohnt nicht hier, und ich selbst komme auch nur selten in Kontakt mit den Stadtbewohnern."
Er knabberte an einem Keks. Sie waren wirklich hervorragend!
"Willst du auch einen Keks Henry? Sie sind wirklich hervorragend!" Und August steckte seinem Bruder einen Keks in die Hand, den dieser verträumt anstarrte.

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