Lucky war begeistert. Nun, da sie keine Tagesreise mehr auf sich nehmen musste, um einen Friseur zu besuchen, würde sie sicherlich vor Weihnachten noch Zeit finden, den Haarvorhang zu lichten, der ihr im Gesicht hing. Wie aufs Stichwort fielen ihr ein paar Strähnen ins Gesicht, die sie verzweifelt versuchte, wieder irgendwo auf ihrem Kopf zu befestigen, aber die blonden, samtigen Strähnen glitten einfach durch ihre Finger hindurch und hingen wieder vor ihren Augen. Lucky bließ genervt Luft durch ihren Mund nach oben, was die Haare kurz fliegen ließ. "Ich würde dir sehr sehr gerne sehr bald einen Besuch abstatten!" bekräftigte Lucky den neuen Friseur und schüttelte ihm die Hand. Dann gingen sie in richtung Fy's. Die Diskussion über Tannengrün und Pink mit Henry lief leider nicht so besonders, aber Lucky würde es schon noch schaffen, diesen Banausen zu seinem Weihnachtsglück zu zwingen! Als sie Fy's Restaurant betraten, drang eine wortwörtlich schräge Version von Bring Me To Life an Luckys Ohr und sie rümpfte kurz die Nase. Wieder mal ein stiller Hilfeschrei des "toten" Edgards, to life gebracht zu werden. Lucky mochte Edgar. Allerdings fürchtete sie sich vor der Stelle, an der Edgar das Wort life lang und schrill singen würde - so lang und schrill, dass es vermutlich kaum auszuhalten war. Sie konzentrierte sich also darauf, ihr Gehör gleich für dreiundvierzig Sekunden lang auszuschalten, als Capra sich umdrehte und verschwörerisch in die Runde blickte. Lucky hatte noch gar nicht begriffen, was los war, als Artie auch schon auf einen Tisch in der hinteren Ecke des Restaurants zustürmte. Bring me to ... Lucky bereitete sich auf den ultimativ schrillen Ton vor, als das Klavierspiel glücklicherweise aprupt abbrach und Edgar auf sie zu kam. Sofern er ihr nicht eine Privatsession bieten wollte, war jetzt ja alles gut. Die Sonne hatte sich mittlerweile einen Weg durch die Wolken gebahnt und ließ Edgars Glitterpuder leuchten. Während Lucky sich Edgars Frage anhörte, folgte sie Artie mit ihrem Blick, doch leider versperrte er ihr die Sicht auf den Neuankömmling. "Ich finde definitv, Edgar, dass dein Sarg mit den pinken Weihnachtssternen alles toppt, ich meine.." Da wich Artie zur Seite und Lucky erblickte einen blond gelockten Haarschopf. Ihr Herz machte einen Sprung. Sie ließ Edgar stehen und ging ohne ein weiteres Wort zu den anderen, die sich bereits um den Neuankömmling schaarten. "Ein Teelöffel Milch, wenn es euch nichts ausmacht, dass ich Milch trinke. Könnte ja sein, dass ihr Laktoseintolerant.." Wie rücksichtsvoll er doch war, dachte Lucky, zwängte sich zwischen Capra und Artie und strahlte ihn an. Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, ließ Luckys Haare leuchten. "Ich hätte gerne einen Tee mit Milch." sagte sie süßlich, als der Neuankömmling geendet hatte. Er nestelte nervös an seiner Fliege. Lucky hätte sie ihm gerne zurecht gerückt.
Bevor Lucky Henry dazu gratulieren konnte, dass er ihr erster Weihnachtskunde war, und ihm die Geschenke abnehmen, ergriff Capra das Wort und erzählte Henry euphorisch von der Zirkusneuigkeit. Oh, aus Detektivperspektive hatte Lucky das Ganze noch nicht betrachtet. Sie hatte eher an Zuckerwatte gedacht, an den Duft von gebrannten Mandeln, der die Winterluft erfüllte, und an Atemwölkchen, die sich in den Nachthimmel davonstahlen, wenn man abends noch zwischen den bunten Lichtern des Zirkus spazieren war. Und natürlich an Elefanten. Sie stieß einen unmerklichen Seufzer aus und lächelte träumerisch abwesend. Dann merkte sie, dass Capra geendet hatte, und die letzten Worte hatten irgendwas mit Restaurant und Besprechung zu tun gehabt. Da Lucky heute morgen sowieso noch nicht gefrühstückt hatte, hielt sie einen Abstecher bei Fy's für eine gute Idee - ihr war sehr nach einem kräftigen Pfefferminztee und Rühreiern. Das Zufriedenstellen ihrer Kunden war jedoch alles für Lucky, daher wandte sie sich, während Capra förmlich schon die Ladentüre hinausstürzte, noch kurz an Henry: "Geschenke zum Einpacken? Ja ja, da bist du hier richtig! Leg sie mir einfach auf die Theke" - Lucky drehte sich um und machte zwischen den Dekosachen etwas Platz - "und wir besprechen dann bei Fy's, oder auf dem Weg dorthin, welche Farben das Papier haben soll, und ob ich eine Karte dazulege, und so weiter, du weißt schon.." Sie fuchtelte mit den Armen herum und grinste. "Tannengrün und pink sollen in diesem Winter stark im Kommen sein, habe ich gehört." Dann schnappte sie sich Mantel und Mütze vom Jackenständer neben der Tür und verließ nach Capra den Laden.
Ein großer! .. Mit Elefanten. Capra hatte ihre letzten Worte kaum ausgesprochen, da begannen Luckys Augen auch schon, groß zu werden und wie wild zu funkeln. "Elefanten!?" Bevor sie allerdings euphorisch quieken oder irgendwie anderweitig euphorisch reagieren konnte, klingelte es wieder an der Türe und Henry trat ein. Er wirkte ziemlich verlegen, und Lucky wusste auch genauestens, wieso, aber sie hatte ihren Ärger aufgrund des Elefanten vergessen und begrüßte Henry nun euphorisch. "Hulllloooo, Henry! Weißt du schon das Neuste? Der Zirkus kommt in die Stadt, mit Elefanten!" Glücklich hüpfte sie in die Luft, wobei sich ihre Haare ganz aus dem Geschenkband lösten und ihr über die Schultern fielen. Nun war sie bester Laune, doch sie nahm sich trotzdem einen Moment Zeit, um nachzudenken und ihr fiel auf, dass Henrys Besuch in ihrem Geschenkladen ein äußerst ungewöhnliches Ereignis war. Vielleicht wollte er sich nochmal entschuldigen? Aber Lucky war gar nicht mehr böse. "Was machst du eigentlich hier?" fragte sie nach einer süßlichen Pause.
Auch Lucky war an diesem grauen Dezembermorgen schon früh auf den Beinen. Der Geruch von Schnee lag in der Luft und sie wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Flocken fielen. Deshalb hatte sie die Kartons mit der Weihnachtsdeko aus dem Keller geholt und war fleißig am Dekorieren ihres kleinen Geschenkelädchens. Die Weihnachtszeit war immerhin die geschäftigste Zeit des Jahres für Luckys Laden, deshalb musste alles perfekt sein! Lucky bevorzugte diesen Winter die Farben pink und tannengrün, da sie rot und tannengrün als Weihnachtsfarben ein bisschen zu ausgelutscht fand. Überall hingen schon Lametta-Girlanden - an der Theke, an der Decke, an den Tür- und Fensterrahmen. Doch Lucky war noch nicht zufrieden, denn früher war mehr Lametta! Sie hatte ihren blonden, mittlerweile viel zu langen Pony mit ihren anderen Haaren zusammengesteckt und irgendwie mit pinkem Geschenkband fixiert, da sie sonst durch den Haarvorhang nichts mehr sehen konnte. Irgendwie musste sie dringend zum Friseur, doch sie fand keine Zeit. Jedenfalls stand Lucky gerade auf einer Leiter und befestigte eine enorm riesige pink-glänzende Schleife über einem Fenster, als das Glöckchen an ihrer Ladentüre schrill klingelte. Lucky wäre vor Schreck beinahe von der Leiter gefallen, konnte sich aber gerade noch halten. Während das Glöckchen unaufhörlich und erbarmungslos klingelte, bemühte sich Lucky also, von der Leiter herabzusteigen, wobei ihr ihre Haare ins Gesicht vielen, was die Angelegenheit noch erschwerte. Endlich an der Tür angekommen sah sie auch schon ihre Freundin Capra, die geradezu am Schnürchen der Türglocke hing. Lucky öffnete und setzte ein freudiges Lächeln auf. Irgendetwas Spannendes musste passiert sein!
Luckys Bäckchen liefen rosarot an. Aber nicht, weil sie wie sonst vielleicht geschmeichelt von der netten Begrüßung des Fremden wäre. Sie atmete einmal tief durch und drehte sich zu den anderen um. "Es war ein netter Nachmittag mit euch, meine Lieben! Wir sollten uns demnächst wieder treffen, und jetzt, kommt gut nach Hause!" Sie winkte. "Du nicht, Henry!" hängte sie mit scharfer Stimme an. "Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Auch wenn du dich vielleicht nicht mehr an diesen Brief erinnerst, er stammt eindeutig von dir! Was hast du dir nur dabei gedacht!?" Wütend piekste sie mit ihrem Finger wieder und wieder beschuldigend in Henrys Brust. "Du hast die Unschuld aller Spiralstadtbewohner gefährdet. Und außerdem! Sieh dir meine Strumpfhose an!" Sie zeigte an sich herunter. "Weißt du, was ich wegen deiner Spinnereien für eine Mühe hatte!? ICH musste immerhin dafür sorgen, dass keiner hinter deine obszönen Absichten kommt! Und jetzt habe ich auch noch eine mords Wäschereirechnung zu zahlen. Weißt du eigentlich, was es kostet, SO VIEL SCHLAMM aus einem Kaschmirpullover wieder rauszukriegen!? Wenn er denn nicht schon völlig hinüber ist!" Lucky war richtig in Fahrt. "Weißt du was, Henry Kennington? Ich bin enttäuscht, maßlos enttäuscht von dir! DU, als rechtschaffener, gestandener Mann..!" Vorwurfsvoll schüttelte Lucky den Kopf. "Das hätte ich nicht erwartet! Die Wäschereirechnung werde ich dir dann zukommen lassen."
Auch Lucky war sehr froh, als sie endlich wieder in das kleine Sträßchen der Spiralstadt einbogen. Sie freute sich nun auf einen gemütlichen Abend in ihrer Rosaflauschelefantenschlafanzughose und ihrem Rosaflauschelefantenschlafanzugoberteil, doch dann wurde sie von einer ihr unbekannten Stimme aus ihren Gedanken gerissen. Vor ihnen stand ein blonder junger Mann mit zurückgegeelten Haaren, der Henry freundschaftlich tätschelte und wohl, genau wie Henry, versuchte, äußerst cool und männlich zu wirken. Lucky fand ihn toll. Gerade wollte sie ihr strahlendstes Lächeln aufsetzen, um ihn herzlichst in der Spiralstadt willkommen zu heißen, da sagte er etwas von Trunkenheit und einem Brief.. von Henry.. den sie vermutlich gerade in der Hand hielt. Es machte Klick. Die Lieblichkeit war nun vergessen! Mit zerknüllter "Schatzkarte" in ihrer erhobenen Faust stürmte Lucky auf den blonden Mann zu und unterbrach das männliche Begrüßungsritual mit den Worten: "Wessen Schrift zur Hölle ist das!?" Wütend wedelte sie mit dem Brief vor des Mannes Nase herum.
Auch Lucky freute sich, dass sie endlich am Ziel waren, denn es begann, frisch zu werden, und Luckys Wollstrumpfhose war schlammverklebt. Kein schönes Gefühl. Es war Zeit für eine Tasse Tee! Niaha. "Macht die Kiste auf!" frohlockte Lucky. Sie freute sich schon auf den Inhalt. Ein Glück war sie nicht auf die Idee gekommen, die Kiste zusätzlich mit einem Schloss versehen zu lassen, sonst hätte das Ganze wohl noch ewig gedauert. Nach kurzer Zeit beugten sich alle über die geöffnete Kiste und es gab ein kleines Gedrängel, denn jeder wollte den Schatz zuerst sehen! Irgendwer beförderte Wolldecken ans Tageslicht, und Lucky schnappte sich die darunterliegenden Thermoskannen. Einen Moment lang meinte sie, Enttäuschung in den Gesichtern einiger ihrer Freunde zu erkennen - aber sie musste sich täuschen. Wer freute sich denn nicht über Tee!? "Wundervoll!" frohlockte Lucky, riss die Wolldecken an sich und breitete sie sorgfältig unter dem Baum aus. Glücklicherweise war der Boden vom Blätterdach geschützt relativ trocken geblieben. Sie schmiss sich förmlich auf die Decke und stellte den Picknickkorb in die Mitte. "Zeit für Sandwich und Tee!"
"Dort vorne sieht man schon den Baum, der vermutlich gemeint ist!" antwortete Lucky, und tatsächlich ragte über all die anderen Bäume eine große Tanne, die auf der Spitze des Hügels stand. Um ihn zu erreichen würd ich jeden Berg bezwingen Und unter den Bäumlein wo die Vöglein singen Vor Freude dreimal im Kreis mich drehn Nur um diesen Schatz zu sehen. zitierte Lucky. "Das heißt dann wohl, dass wir uns oben angekommen in eine bestimmte Himmelsrichtung wenden müssen. Aber das sehen wir dann, wenn wir da sind." Sie winkte die Gruppe in Richtung Hügelspitze.
Bald waren Luckys grauer Mantel und ihre rosa Wollstrumpfhose komplett mit Matsch bedeckt. Zuerst war sie ein bisschen angesäuert, doch als sie sich dazu entschloss, die Wäscherei einfach dem Verfasser des (Liebes)briefes in Rechnung zu stellen, matschte sie fröhlich mit. Als alle klitschnass und braun waren rief sie fröhlich: "Da können wir uns die Brücke aber auch sparen!" und maschierte querfeldein durch den Bach. Gut, dass sie bald da waren, denn es wurde nicht gerade wärmer in den nassen Klamotten. "Oh, übrigens, nette Frisur Henry." merkte sie süßlich an, während sie so den Hügel hinaufwanderten.
"Wir haben hier einige Hügel." antwortete Lucky. "Doch der höchste, der einzige, den man vielleicht schon als Berg betrachten könnte, liegt einen gut 30 Minütigen Fußmarsch von hier im Wald!" Aprupt verstummte sie und schaute geheimnisvoll von einem zum anderen. "Im großen, dunklen Wald hinter der Stadt.. Nur wenige Bewohner der Spiralstadt sind jemals dort gewesen - und noch weniger sind auch wieder zurückgekehrt!" Passend zur Dramatik schlug die Kirchturmuhr 12 und einige Raben flogen kreischend auf. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und selbst Lucky, die ja eigentlich die Erfinderin der Gruselgeschichte war, jagte ein leichter Schauer über den Rücken.
Lucky war froh, dass alle sich so auf die Schatzsuche fixierten und niemand weiter über den Sinn des Briefes nachdachte, oder darüber, warum er in einem Rosenkuvert gesteckt hatte. Jetzt musste sie sich nur noch Mühe geben, eifrig mitzuspielen. Da sie es außerdem nicht ertragen konnte, die enttäuschten Gesichter ihrer detektivischen Freunde zu sehen, wenn sie dann doch keinen Schatz fanden, tätigte sie ein paar Anrufe. So viel Mühe nur wegen dem dämlichen Idioten, der diesen Brief verfasst hatte. Lucky würde schon noch herausfinden, auf wem dieser Mist gewachsen war, und dann.. Sie sah so böse drein, wie eine Lucky nur böse dreinsehen konnte. Doch sie beschloss, das beste aus der Schatzsuche zu machen und packte sie ein paar Sandwiches und eine rosa Spitzendecke in einen Picknickkorb. Dann machte sie sich auf den Weg zur Kirche.
Ich habe einen Schatz entdeckt, glaub mir, er ist gut versteckt. Lucky seufzte verträumt. Um ihn zu erreichen würd ich jeden Berg bezwingen Und unter den Bäumlein wo die Vöglein singen Vor Freude dreimal im Kreis mich drehn Nur um diesen Schatz zu sehen. "Aw, wie romantisch!" rief sie entzückt aus. Mit meinem übergroßen Degen Würde ich fechten für diesen Segen. "Hm, seltsame Zeile.." dachte Lucky. "Aber süß!" Links, rechts, gradeaus, um den Hügel meine Liebe verleiht mir Flügel. Manche Dinge müssen sich erst heben bevor erfüllt wird mein ganzes Streben. So langsam wurde Lucky misstrauisch. Es schwahnte ihr etwas.. Man findet dich in einem Garten, Es hat den anschein du würdest warten. Dort weit entfernt von allen Wegen, Möchte ich mich niederlegen. Um möglichst schnell ihn zu erblicken "DU GROßER GOTT!" rief Lucky Und möglichst schnell dann auch zu ... Lucky wollte Capra den Mund zu halten, aber zum Glück war das letzte Wort "verwischt". Erleichtert atmete sie aus. Panisch blickte sie in die Runde, um zu sehen, ob irgendwer den obszönen Sinn dieses widerlichen Briefes verstanden hatte. Doch alle grinsten nur debil oder sahen grübelnd zu Boden. Lucky patschte sich mental an die Stirn - zum zweiten mal an diesem ominösen Morgen - und war dann doch ganz froh, dass niemand ihrer Spiralstadtfreunde den eindeutig zweideutigen Sinn dieses Briefes zu verstehen schien. "Was könnte das nur heißen? Ersticken? In den Tod schicken? Kicken?" fragte da auch schon Capra. "Tja, ähm, vielleicht, ja! Vielleicht ist es eine Morddrohung!" stimmte Lucky eifrig (und ETWAS nervös) ein. Sie fragte sich nun allerdings ernsthaft, wer der Verfasser dieses Briefes war, und würde ihm gehörig etwas erzählen, wenn sie ihn in die Finger bekäme - unter vier Augen natürlich. So etwas einer Dame zu senden - ganz und gar unschicklich!
Der Brief kam wie gelegen, um Lucky aus der unangenehmen Situation zu erlösen und von ihrem gezwungenen Grinsen abzulenken. Zuerst war sie nur froh und dankbar, dass dieser dämliche Brief in ihre Mitte geflogen war, doch als Capra ihn in die Runde hielt, wurde sie tatsächlich neugierig. In der Tat - er roch nach Rosen! Fehlte nur noch der rosa Glitzernebel drum herum. "Bestimmt ein Liebesbrief.." dachte Lucky, und lächelte verträumt. Der musste natürlich unbedingt seinem Empfänger ausgeliefert werden ... nachdem Lucky ihn noch ein bisschen mit Stuff aus ihrem Geschenkeladen verziert hatte! Als sie gerade so in Gedanken schwelgte und mit halbem Ohr Edgar zuhörte, der irgendwas von Vampiren und Fingerabdrücken schwafelte, kam Fy die Straße entlanggestürmt. Von ihrem euphorischen Quieken wurde Lucky aus ihrer Herzchenrosaschleifchenwelt gerissen. Mit euphorischem Winken erwiederte sie Rattes euphorischen Gruß.
Lucky patschte sich in Gedanken mit ihrer Hand auf die Stirn. Die Blitze von Capras Kamera stachen durch den Regen wie, äh, Blitze, und der.. Neue.. bemerkte sie natürlich sofort. Lucky stellte sich schnell gerade hin und machte ihre Haare zurecht, damit er bloß nicht darauf kam, dass sie hinter der Straßenecke gekauert und ihn beobachtet hatten. Das wäre höchst peinlich und unhöflich noch dazu! Wobei sich Lucky noch nicht so ganz sicher war, ob sie zu dem Neuen überhaupt höflich sein wollte. Er war immerhin mit einem schwarzen Leichenwagen in ihre süße Spiralstadt gekommen - was er wohl vorhatte? Er stellte sich vor als Edgar Kallen aus Gabeln. Von diesem Ort hatte Lucky schon gehört, angeblich regnete es dort nie. Das hatte Edgards glitzernden Oberkörper vermutlich noch mehr zur Geltung gebracht, vielleicht war er deshalb ausgewandert. Lucky räusperte sich. "Guten Tag und herzlich willkommen in der FRIEDLICHEN, IDYLLISCHEN und NICHT VOM TOD HEIMGESUCHTEN Spiralstadt!" Sie streckte ihre Hand in Richtung Edgar. "Ich heiße Lucky, und das ist meine Freundin Capra. Sie macht, äh, gerne Fotos, ja.." Dann zwang sie sich ein Grinsen ins Gesicht.
Lucky saß an ihrem kleinen Tisch in der Küche und sah zum Balkonfenster hinaus. Sie trank ihren morgentlichen Pfefferminztee und lauschte dem Regen. Auf ihrem Schoß lag Mint und schnurrte. Alles deutete auf einen verschlafenen, wolkenverhangenen Samstag hin.
Plötzlich hob Mint seinen Kopf und spitzte die Ohren. Er hüpfte von Luckys Schoß und kratzte an der Balkontüre. "Hm, was hast du denn?" fragte Lucky sanft und sah hinaus. Nichts rührte sich.
Gerade als sie sich wieder setzen wollte, um weiter in der neuen Jamie vom September zu blättern, hörte sie Reifen, wie sie langsam über die nassen Pflastersteine der Stadt rollten. Sie sah nochmal hinaus und erblickte durch den Regenvorhang ein seltsames Gefährt am Ende der Straße. Als es näherkam, erkannte Lucky, was für ein Gefährt es war - ein Leichenwagen, komplett schwarz!
Vor Entsetzen ließ sie ihre Teetasse fallen, Mint konnte dem heißen Schwall gerade noch ausweichen. Doch Lucky ließ die Scherben liegen und hastete zum Telefon. In Eile wählte sie Capras Nummer.
Lucky sah die drei Gestalten mit dem Flügel schon von Weitem und freute sich riesig - das würde bestimmt ein rauschendes Eröffnungsfest werden!
"Gut!" rief sie enthusiastisch. "Jetzt müssen wir nur noch -"
RUMS! KLIRR! Eine der Rollen des Flügels hatte sich zwischen den Backsteinen verkantet und der Flügel war, dank Augusts und Henrys energischem Schieben, doch glatt zur Seite gekippt.
Lucky kniff die Augen zusammen. Als sie sie wieder öffnete, standen ein panisch dreinblickender August und Henry vor dem Flügel, der eigentlich nicht sehr demoliert aussah. Man musste ihn nur wieder aufheben.
Man musste ihn nur wieder aufheben.
Man musste ihn nur wieder aufheben.
Man musste ihn nur -
"Würde jemand den Flügel jetzt wieder aufheben! ... August und Henry!" rief Lucky nach gefühlten ZEHN Minuten des geschockten Schweigens.
Als der Flügel mit August und Henry die Straße entlang gerollt kam, standen schon die ersten weißen Komoden und die Ladentheke in Luckys zukünftigem Geschenkeladen. "Ja wundervoll!" rief Lucky, als sie die beiden Brüder erblickte, die zusehens Mühe hatten, den Flügel davon abzuhalten, die leicht abfällige ? Straße im Alleingang hinunterzurollen. "Und das auch noch bei den vielen kleinen Spalten im Pflaster.." dachte sich Lucky und presste die Lippen aufeinander, in der Hoffnung, dass Frau van Bastens Flügel heil und intakt ankam.
Während Alexa Beatrice bequatschte, rollte ein kleiner weißer Lastwagen die Spiralstraße der Spiralstadt hinauf. Am Steuer saß der Briefbiber, dessen Nase über das Lenkrad spitzte und neugierig schnüffelte. Auf dem Kopf trug er einen Schirmhut.
"Die Möbel, da kommen die Möbel!" rief Lucky, als sie das Fahrzeug erblickte, und sprang freudig auf und ab. "Da sind meine Schränkchen und Schublädchen und weißen Regälchen und meine Ladentheke! Wer hilft aufbauen?" Euphorisch drehte sie sich zu den übrig gebliebenen Spiralstadt-Bewohnern um und erntete, hust, erfreute Blicke.
Als Alexa aufgeregt die Straße entlang gerannt kam, waren alle schon einfrig am schrauben, hämmern und räumen. Lucky interpretierte den aufgeregt-hüpfend-stolpernden Gang des Dienstmädchen als ein gutes Zeichen und hielt kurz inne um ihr zuzuwinken, ehe sie weiter Päckchen entpackte, aus denen unmengen von rosaner und pinker Deko zum Vorschein kamen.
Endlich hing das Schild dort, wo Lucky es haben wollte und schon wenige Sekunden später rollte sich Henry im Gras herum. Doch Lucky hatte kaum Zeit, darüber zu schmunzeln und ein süßlich-gemeines Kommentar abzulassen, da kam auch schon Alexa die Straße hinunter - mit einem Päckchen, das sie Lucky ein wenig schüchtern überreichte. "Aww, wie aufmerksam, vielen lieben Dank!" quiekte Lucky vergnügt, stellte das Päckchen zur Seite und umarmte Alexa stürmisch. "Und sag auch der Frau van Basten einen ganz herzlichen Dank von mir, sie ist herzlich zur Einweihungsfeier eingeladen!" Dann wandte sie sich zu Henry. "Etwas Live-Musik für die Party heute Nachmittag wäre wirklich reizend, allerdings nur, wenn wir einen einigermaßen akzeptablen Musiker unter uns haben.." Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Lucky in die Runde.