Capra war beim ersten Anzeichen von Bewegung draußen von der gemütlichen Kaffee-Tee-Milch-und-Zucker-oder-auch-ohne-Runde aufgesprungen um an das große Fenster von Fys Restaurant zu rennen und sich professionel hinter dem Vorhang zu verstecken, ihre Kamera griffbereit. Bewundernd musterte sie die bunten Wägen. Wieviele Leichen da wohl reinpassen würden? Als schließlich der Elefant vorm Fenster vorbeizog, wurde sie völlig aufgeregt. Auf einen Blick hatte sie erkannt und beschloßen - DAS würde Luckys Weihnachtsgeschenk werden! Nur, wie sollte sie das anstellen? Der Zirkus würde sich kaum überreden lassen, den Elefanten loszuwerden. Die logische Schlussfolgerung daraus war: der Zirkus durfte garnicht wissen, dass er den Elefanten loswerden würde. Und wenn doch, dann musste man ihn daran hindern, das Tier zurückzuholen. Nachdenklich kaute die Ziege auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte natürlich schon hunderte von Diebstählen studiert, also war sie gewissermaßen Expertin auf dem Gebiet. Trotzdem, einen ganzen Elefanten.. Sie würde Hilfe brauchen. Stirnrunzelnd musterte sie den Rest der Truppe, der noch am Tisch saß und von dort aus den Zirkus bewunderte. Die hatten doch sicher auch noch kein Weihnachtsgeschenk für Lucky..
Als das illustre Grüppchen wenige Minuten später Fy's Restaurant betrat, hatte Lucky es noch nicht geschafft, Henry von Pink und Tannengrün zu überzeugen. Aber der Weg war zugegeben auch ziemlich kurz. Capra hatte Artemis weiterhin in Beschlag genommen und wollte ihn gerade darüber ausfragen, was für Mittelchen er so in seinem Laden benutzte, als sie den dritten Schock des Tages erlitt: am hintersten Ecktisch des Restaurants saß doch tatsächlich eine weitere unbekannte Person! Was sollte das nur? Glaubten diese Verbrecher, sie könnten einfach so hinter ihrem Rücken hier herumspazieren? Warnend blickte sie sich zum Rest der Gruppe um, der gerade seine Jacken ablegte. "Wir sollten so tun, als hätten wir ihn nicht bemerkt, damit wir erstmal seine Absichten studieren können! Verhaltet euch unauffällig! PSSSSST!" wisperte sie ihnen laut zu.
Capra war nicht wenig verwundert, als plötzlich ein fremder Kerl mit einer Schere vor ihnen stand. Hatte sie tatsächlich nicht bemerkt, dass ein Neuankömmling neu angekommen war? Egal, egal, nun war er jedenfalls da, und Capra liebte Neuankömmlinge. Immerhin bestand immer die Chance, dass es sich um Verbrecher handelte, die sie hinters Licht führen konnte! "Guten Morgen, guten Morgen, einen wundervollen guten Morgen, Arti!" sie quetschte sich in seine Nähe, um ihm besser in die Augen sehen zu können. "Friseur bist du also, ja?" sie begutachtete eine der Scheren, mit der er gerade in der Luft herumfuchtelte. Immerhin, keine offensichtlichen Blutspuren. Er wusch sie sorgfältig ab. "Scharfe Scheren, giftige Chemikalien.. Jaja, ich weiß schon, woher der Wind weht." verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu, und ergriff dann strahlend seine Hand, um sie herzlich zu schütteln. "Ein wundervolles Willkommen in der Spiralstadt mein Lieber, es ist ganz in meinem Sinne, jemanden wie dich hier vor Ort zu haben! Wir wollten gerade einen Bissen zu uns nehmen, warum begleitest du uns nicht?" Ein verspätetes Frühstück mit einem echten Mörder! Konnte es etwas besseres geben?
Capra hatte für Henrys Wünsche keinerlei Verständnis. Sie mochte zwar Weihnachten, und sie mochte Geschenke (besonders vergiftete Pralinen und Briefbomben), aber sie wusste sehr wohl wesentliches von unwesentlichem zu trennen. "Paperlapap, Weihnachtsgeschenke.. Sag bloß, du weißt noch nichts von den bahnbrechenden Neuigkeiten, die unser ansonsten beinahe zu ruhiges Stadtviertel erschüttern? Nein? Nun gut, lass mich dich einweihen: Ein Zirkus ist in der Stadt! Beziehungsweise, wird bald in die Stadt kommen, wenn man dem Briefbieber Glauben schenken darf." Sie pausierte kurz um Henry anzustrahlen, doch irgendwie schien der Gute die Tragweite der Situation nicht begriffen zu haben. Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu. "Weißt du, in so einem Zirkus können immer iweder unvorhergesehene Unfälle passieren, die nur äußerst schwer als Mord nachgewiesen werden können, selbst von geübten Detektiven wie mir. Also, die Gelegenheit, auf die du unter Umständen schon immer gewartet hast. " Sie wandte sich an die Gruppe. "Ich finde, wir sollten uns zur Besprechung in das Restaurant zurückziehen und uns versammeln!"
Kaum war Capra durch die Türe getreten, fiel sie auch schon mit selbiger ins Haus. "Das musst du hören! Es gibt spektakuläre Neuigkeiten! Ich war gerade in Fys Restaurant beim rumkri.. Beim Observieren, und da kommt der Bieber rein, und verkündet, dass ein Zirkus in die Stadt kommt! Ein großer! .. Mit Elefanten." fügte sie hinzu und beobachtete Luckys Reaktion aufmerksam. In diesem Moment klingelte die Türglocke schon wieder, diesmal deutlich zaghafter.
Auch Capra war, mit einer großen Tasse Caramelcappucchino vor sich, in Fys Restaurant anwesend. Sie war immer gern auf dem Laufenden, was die Aktivitäten der Spiralstadtbewohner betraf, besonders zur Weihnachtszeit. Und was für eine wundervolle Zeit das war! Man konnte Fußspuren im Schnee verfolgen, Leichen ewig auf dem Dachboden verstecken ohne dass sie verräterisch rochen (sie musste bei Gelegenheit mal August einen Besuch abstatten, Henry war merkwürdigerweise schon länger nichtmehr aufgekreuzt), als Weihnachtskarten getarnte Erpresser- und Drohbriefe schreiben, und die schönsten Giftplätzchen backen! Vielleicht würde sich dieses Jahr auch endlich einmal ihr geheimer Weihnachtswunsch erfüllen: Eine Leiche! Nur eine ganz klitzekleine würde ihr ja schon reichen..
Bei diesen erfreulichen Gedanken kritzelte sie ganz hyperaktiv vertieft mysteriöse Männer mit spitzen Ohre in ihr Notizbuch, um auch beschäftigt auszusehen. In diesem Moment betrat der Bieberpostbote das Lokel - immer eine Hoffnung auf spannende Neuigkeiten, und zudem ein Grund für Edgar, sein Gejaule für einen Moment einzustellen. Konnte der Tag noch besser werden?
Wie sich herausstellte, konnte er. Ein Zirkus in der Spiralstadt! Wie absurd spannend! Was für Möglichkeiten es da gab, jemanden zu ermorden und es wie einen Unfall aussehen zu lassen! Und sogar einen Elefanten sollte die da haben! Moment mal.. Hatte Lucky nicht vor einiger Zeit verkündet, dass sie gerne so einen hätte? Und Capra hatte noch garkein Weihnachtsgeschenk für ihre Freundin.. Egal, die musste sowieso sofort von dem Zirkus erfahren.
Capra kippte die verbliebenen 500ml Cappucchino in einen Zug hinunter und stürmte aus dem Restaurant, direkt auf Luckys Geschenkeladen zu, um dort dann Sturm zu klingeln.
"Ehm. ich glaube, der Schatz liegt unter diesem Baum vergraben."
Bei diesen Worten war Capra sofort wieder aufgesprungen. Unter einem Baum! Wie.. Naja, eigentlich etwas einfallslos, aber man konnte eben nicht alles haben. Sie wuselte zu betreffendem Baum und zog ihren Detektivausweis aus der Westentasche. "Ich bitte sie alle, die Ruhe und Abstand und Anstand zu bewahren! Die verdächtige Stelle muss professionell ausgehoben werden, damit keine Spuren vernichtet werden!" Und sofort machte sie sich daran, mit ihrem Archäologenpinsel auf dem Waldboden herumzupinseln. Nach wenigen Minuten wechselte sie zu ihrem Mikrospatel. Und schließlich zum normalen Spatel. Dann zum Apothekerlöffel. Schließlich blickte sie, nach wie vor bestens gelaunt, in die Runde. "Hat nicht irgendwer von euch eine Schaufel dabei? Den würde ich für die nächste Viertelstunde als meinen Ausgrabungsassistenten anstellen." Und an August gewandt. "Solltest du dir nicht ein paar Notizen machen?"
Capra war - ganz nach Ziegenmanier - den Berg im Nu hinaufgesprintet und winkte hektisch zu den anderen hinunter. Die sollten sich gefälligst beeilen! Stattdessen fummelte Henry in seinem Haar herum, Edgar berachtete seine Fingernägel, und überhaupt war außer Lucky eigentlich keiner mit gebührendem Ernst bei der Sache! Zumindest nicht so sehr wie Capra. Diese beschloß nun, die Anweisungen des sehr ernstes Drohbriefes - oder nunja, eben doch Schatzplanes - durchaus ernsthaft in die Tat umzusetzen. Sie begann, sich kichern im Kreis zu drehen. Immer schneller, immer schneller! Ihr nichtmehr ganz so weißer Laborkittel wehte im Wind, und ihr freudiges Kreischen scheuchte sämtliche Vögel auf. Zumindest, bis sie schließlich umfiel und den Berg fast wieder hinunterrollte. Inzwischen waren glücklicherweise auch die anderen oben angekommen. Capra setzte sich verdutzt auf und wartete, bis die Erde aufhörte sich zu drehen - oder vielmehr, bis die Ziege nichtmehr sah, dass sie sich drehte. Man musste ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen.
Capra war fröhlich vor sich hinspaziert und hatte nach Leichen/-teilen Ausschau gehalten, als sie plötzlich schnelle Schritte von hinten wahrnahm. Kurz hatte sie die Idee, dass jemand sie ermorden wollte, doch als eine Sekunde später Edgar vor ihr im Fluss saß, kicherte sie erfreut los. Erstens sah das Wasser plötzlich so lustig glitzrig aus, und zweitens war der Vampir vielleicht geschubst worden. Vorsätzlich! Erstmal jedoch streckte sie ihm freundlich ihren Spazierstock hin, um ihn aus den reißenden Strömen (in denen er sogar sitzen konnte) zu erretten. "Ein Fluss! Ohne Zweifel eigens dafür ausgegraben, Spürhunde abzuschütteln, die den Verfolgten verfolgen!" Sie war ganz entzückt über soviel Einfallsreichtum von Seiten des Schatzvergrabers - vorrausgesetzt er war nicht kreativ genug, ein andere Art des Versteckens als das klassische verbuddeln zu erfinden, was Capra stark bezweifelte. Wer immer den geheimnisvollen Brief geschrieben hatte, war Capra schon jetzt sympathisch, und sie hoffte, ihn bald kennezulernen.
"Soll das heißen, wir müssen uns durch das ganze Gebüsch auf die Rückseite durchschlagen?"
Capra schnalzte tadelnd mit der Zunge und blickte den Neuankömmling streng an. Was dachte der eigentlich, was das hier war? Ein Ponyhof? "Natürlich müssen wir uns durch das ganze Gebüsch durchschlagen, wenn das in der Wegbeschreibung steht. Solche Briefe sollte man immer ernst nehmen! Ich denke sogar, hier ist alles mit Fallen zugepflastert, für die Leute, die sich ohne die Schatzkarte auf die Suche machen. Vermutlich sind deshalb schon einige nicht zurückgekommen. Sollte mich nciht wundern, wenn wir hier auf einige Leichen treffen!" Den letzten Satz quietsche sie triumphierend heraus, und schon teilte sie - sehr vorsichtig mit einem langen Spazierstock - das Geäst der umstehenden Büsche. Leider fand sie erstmal keine abgehackten Hände, Füße oder sonstige Körperteile. Doch so schnell lies sie sich nicht entmutigen. "Auf gehts, mir nach!" Und die Ziege schlug einen komplexen Zickzackkurs durch das Gesträuch ein. Dass dieser mit der Wegbeschreibung aus dem Brief nichtmehr wirklich etwas zu tun hatte, hatte sie inzwischen vergessen.
Capra klatschte begeistert in die Hände. Wenn weniger Leute aus dem Wald herausgekommen waren, als hineingegangen waren, war die logische Schlussfolgerung, dass die Differenz immernoch dort sein musste. Vielleicht sogar tot! Sie zog ihren Kompass aus der Tasche - obwohl sie genug wusste, in welche Richtung der dunkle, große Wald lag - und hüpfte fröhlich in Richtung des Waldes, die Rabenschreie und Wolken ignorierend.
Natürlichwar Capra zunächst noch voll und ganz mit der Morddrohungs-Theorie einverstanden. Doch nur kurze Zeit später äußerte Fy eine Theorie, die der detektivischen Ziege - und auch allen anderen - sogar noch mehr zusagte - Eine Wegbeschreibung zu einem Schatz! Immerhin stand das ja schon in der ersten Zeile. Eine sehr wahrscheinliche Annahme! Capra musste natürlich noch ihren Biographen August in dieses Abenteuer hineinziehen, das sich so spontan aufgetan hatte. Und sein unnützer Bruder würde vielleicht auch mitkommen. und Ihre volle Schatzsucherausrüstung brauchte sie auchnoch. Und auch die anderen hatte noch das ein oder andere zu erledigen. Also verabredete sich das frisch gebackene Schatzsuchergrüppchen, sich in einer halben Stunde vor der Kirche zu treffen.
Capra begrüßte Fy - was sonst garnicht ihre Art war - etwas geistesabwesend. Der Brief beschäftigte sie einfach zu sehr. "Du kommst gerade rechtzeitig! Wir haben einen mysteriösen Brief gefunden! Vermutlich ein Erpresserbrief oder eine Morddrohung!" Verzückt richtete die Ziege ihre Äuglein gen Himmel, wo bestimmt irgendein Gott des Verbrechens saß. Doch die Pause währe nur kurz. Immerhin musste sie der Sache auf den Grund gehen, so schnell wie möglich. Und dazu war es unerlässlich, dass sie den Brief endlich öffnete! Sie zog aus einer ihrer Kitteltaschen einen Spatel, den sie auf einer Seite scharf geschliffen hatte und ritzte damit in null-komma-nichts oder noch weniger den Brief auf. Ein weiterer Schwall Rosenduft folgte, und schon hatte Capra den Brief aufgefaltet und las ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und steilen Falten auf der Stirn vor.
"Ich habe einen Schatz entdeckt, glaub mir, er ist gut versteckt. Um ihn zu erreichen würd ich jeden Berg bezwingen Und unter den Bäumlein wo die Vöglein singen Vor Freude dreimal im Kreis mich drehn Nur um diesen Schatz zu sehen. Mit meinem übergroßen Degen Würde ich fechten für diesen Segen. Links, rechts, gradeaus, um den Hügel meine Liebe verleiht mir Flügel. Manche Dinge müssen sich erst heben bevor erfüllt wird mein ganzes Streben. Man findet dich in einem Garten, Es hat den anschein dur würdest warten. Dort weit entfernt von allen Wegen, Möchte ich mich niederlegen. Um möglichst schnell ihn zu erblicken Und möglichst schnell dann auch zu "
Als sie geendet hatte, wurden die Falten auf der Stirn der Ziege tiefer und tiefer. "Das letzte Wort ist verwischt! Welcher Idiot schreib denn auch Erpresserbriefe mit Tinte! Die ist doch überhauptnicht dokumentenecht!" Tadelnd schnalzte ihre Zunge, und ihre Ohren erzeugten kleinen unbeträchtlichen Wind, so schnell wie sie ihren Kopf schüttelte. "Was könnte das nur heißen? Ersticken? In den Tod schicken? Kicken?" Fragend blickte sie in die inzwischen recht große Runde.
Capra tapselte aufgeregt auf den Neuankömmling zu. Ein dunkles Geheimnis? Nichtmehr lange! Endlich konnte sie etwas herausfinden! Doch gerade als sie ihren Mund öffnete, um sich als Detektivin vorzustellen und den Fremdem somit in Angst und Schrecken zu versetzen, bemerkte sie in ihrem Augenwinkel ein Flattern. Keinen Augenblick später lag ein Briefumschlag direkt vor Capras Füßen. Die Ziege quietschte verzückt und tauchte sofort danach. Triumphierend hob sie ihn in die Höhe um ihn Lucky und.. Edgar.. zu präsentieren. "Ein mysteriöser Briefumschlag! Wie.. Mysteriös und überaus faszinierend!" Nervös trippelten Capras Schuhe auf dem Pflaster. Sie hob dem Brief näher an ihr Gesicht und begutachtete ihn durch ihre Lupe. Dann schnüffelte sie daran. "Er.. Riecht nach Rosen.. Bestimmt kommt er aus einem geheimen Rosengarten! Und teures Briefpapier.. Ich spüre, dass da etwas höchst geheimnisvolles drinsteht!" Entzückt reichte sie den Brief durch die Runde. "Ich muss nacher natürlich eure Fingerabdrücke nehmen um zu schauen, ob auch fremde auf dem Umschlag sind. Beziehungsweise Luckys habe ich natürlich schon.. Aber deine.. " Sie produzierte ein kleines Stempelkisse aus einer Tasche ihres Mantels. "Deine benötige ich noch. Sie kommen zusammen mit den Fotos in meine Kartei." Strahlend lächelte sie Edgar entgegen.
Capra hatte Luckys Anruf ebenfalls während ihres "Frühstücks" (eine Tasse Kaffee und die neueste Krimi-Kurzgeschichte ihres Abonnements) erhalten und war durch ihn in helle Aufregung versetzt worden. Zumal so ein mysteriöses schwarzes Auto auch in der Geschichte vorgekommen war. Deren Ende hatte sie jetzt erstmal verschoben, und das wollte was heißen. Stattdessen hatte sie mir Lucky vereinbart, sich so schnell wie möglich an dem kleinen Gässchen neben dem Kirchgarten zu treffen, um das Auto und vor allen Dingen seine(n) Insaßen/innen zu gebutachten. Nun kauerte sie bereits dort und lugte mit ihren Periskop um die Ecke. Der Wagen fuhr die Straße entlang und schien langsamer zu werden. Capra machte ihre Kamera bereit und richtete sie auf die Beifahrertüre. Der Wagen hielt. Eine Person stieg aus. Außerhalb der Spiralstadt hätte sie vermutlich als höchst merkwürdig gegolten, mit freiem Oberkörper, der aus irgendeinem Grund glitzerte, extrem bleicher Haut und stark gegeelten Haaren. Doch Capra, selbst mit Ziegenohren und Hörnern ausgestattet, fand sie höchst gewöhnlich. Nur das Glitzern war etwas verdächtig. Vielleicht hätte sie doch ihren Geigerzähler mitbringen sollen.. Im Moment war sie allerdings damit beschäftigt, eifrig Photos für ihre Kartei und knipsen. Der Kerl stieg aus. Klick. Der Kerl ging am Auto entlang. Klick. Er öffnete den Kofferraum. Klick. Er hob einen schwerzen Koffer heraus. Klick. Er stellte ihn auf die Straße. Klick. Er hob den nächsten heraus. Klick. Er hob beide an. Klick. Er ging einige Schritte zu einem nach Capras Wissen verlassenen Haus. Klick Klick Klick. Er setzte die Koffer ab. Klick. Diese Pause nutzte Capra, um sich strahlend zu Lucky umzudrehen. "Höchst verdächtig das ganze, oder? Was wohl in den Koffern ist? Leichenteile?" Ihre Augen glitzerten.
Auch Capra war schnell nach Hause gehüpft und bald darauf mit einem Teewagen voller Reagenzgläser, Pülverchen und Kolben wiedergekehrt. Am liebsten hätte sie jetzt schon damit begonnen, alles anzuzünden und wild zusammenzukippen, doch die ungeduldige Ziege musste bis zur Dunkelheit warten, sonst würde das Feuerwerk doch garnicht zur Geltung kommen!
Doch schließlich waren wieder Erwarten aller sowohl Flügel, alsauch Abend gekommen. Und was für ein schöner Abend! Perfekt für einen Mord.. Wenn sich doch nur endlich mal jemand aufraffen könnte.. Die blutdurstige Ziege seufzte. Nunja, immerhin durfte sie knallen und explodieren und rauchen. Das war doch auch schonmal was. Bisher waren allerdings erst sie und Lucky im Laden eingetroffen. Die Gebrüder Kennington hatten sich wieder zurückgezogen, um sich, wie Henry es ausdrückte "schick zu machen". Capra glaubte eher, dass sie noch ein Alibi für den Mord an Alexa oder Beatrice van Basten ausklügelten. Eine solche Gelegenheit wie diesen Abend durfte man ja nicht verstreichen lassen! Und auch Alexa war verschwunden.. Die Detektivin zupfte ihre Freundin Lucky am Ärmel. "Die bleiben alle etwas lang weg.. Glaubst du, es wurde schon jemand ermordet? Wollen wir vielleicht die Türen aufknacken und lieber nachschauen?" Bei dem Gedanken eine Leiche hinter einer der Türen zu finden, wurde sie ganz nervös und wippte auf und ab. Auf die Idee, dass sie die dazugehörige Person vielleicht vermissen könnte, war sie noch garnicht gekommen.
Entzückt klatschte Capra in die Hände und legte ihren Arm um Augusts Schultern. "Mein Schreiber ein Geiger? Oh welche Ironie! Wie entzückend ironisch!" Erst bei Augusts verwirrten Seitenblicken fiel ihr ein, dass sie ihn ja noch garnicht in ihre Pläne für seine zukünftige Karriere als ihr Biograph eingeweiht hatte. Naja, das würde sie bei Gelegenheit schonnoch nachholen. "Und die Feier wird sicherlich ganz wundervoll! Mal sehen, vielleicht kann ich noch ein Feuerwerk organisieren, ich habe da noch so einies an Chemikalienresten herumstehen, und ich weiß nichtmehr, was in den Flaschen ist. Wenn man sie zusammenkippt, gibt es fast immer irgendeine lustige Explosion! Und vielleicht.. Vielleicht gibt es ja sogar einen Mord!" Hierbei zwinkerte sie Alexa vielsagend zu. Ihr war natürlich aufgefallen, dass das Mädchen in Henrys Gegenwart wiedermal recht nervös war. Außerdem hatte sie mitbekommen, dass sie von Henrys Plan, die Spiralstadt bald wieder zu verlassen, alles andere als begeistert war. Wenn Alexa unter Zeitdruck kam, und Capra ihr ein paar dezente Hinweise gab, würde sie vielleicht schon heute Abend ihren Mord erleben! Oder vielmehr.. Henrys..
Auch Capra war schon früh auf den Beinen gewesen und einigen Untersuchungen nachgegangen. Doch gerade als sie sich zur Belohnung einen gigantischen Eiskaffee gönnte, hörte sie plötzlich ein hämmerndes Geräusch einige Häuser weiter. Das war natürlich bereits seeehr verdächtig. Als aber obendrein noch wenige Sekunden später ein Spitzer Schrei und lautes Poltern zu hören war, schnappte sich die Hobbydetektivin kurzerhand ihren Eiskaffee und rannte die Hauptstraße entlang. Das ganze war doch ein klarer Fall - es war einfach wiedermal jemand ermordet worden! Und das Geräusch war aus der Richtung von Luckys Haus gekommen.
Als die Ziege dort ankam, war ihr frisch gewaschener, strahlend weißer Laborkittel schon von Kaffeeflecken übersäht und ihr Eiskaffeeglas enthielt tatsächlich nurnoch Eis. Doch das war nebensächlich, immerhin hatte sie ja ihren Beruf auszuüben! Theatralisch zog sie ihren Selbstgedruckten Detektivausweis aus der Westentasche und hielt ihn Henry unter die Nase. Dieser saß verdächtigerweise mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden. Der Daumen der einen Hand steckte in seinem Mund, mit den anderen Hand rieb er sich eine dicke Beule am Kopf und versuchte gleichzeitig, seine Frisur wieder in Ordnung zu bringen. Nebem ihm lag eine Leiter. Capra lächelte ihr liebenswürdigstes Lächeln.
"Wurdest du gerade ermordet, Henry?" fragend blickte sie in die Runde.
Capra war wie alle vollkommen entzückt von dem kleinen Kätzchen. Dass sie eigentlich nach einem Mörder gesucht hatte, störte die selbsternannte Detektivin nicht besonders. Sie war eben immer für positive Überraschungen zu haben, und was war wohl positiver, als einen Mörder zu suchen und ein süßen Kätzchen zu bekommen?
So entzückt wie sie war, piekste sie das kleine Tier immer wieder mit dem Finger in die Seite und quietschte, wenn es sie verwirrt (und auch etwas verängstigt) anschaute. Wie goldig das doch war! Dass sie das Kätzchen damit vom Trinken abhielt, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. Und eigentlich wollte sie auch garnicht nach Hause gehen, gerade wurde es doch erst so richtig lustig. Sie könnten im Haus der van Bastens Verstecken spielen, Fingerabdrücke suchen und Erpresserbriefe finden oder schreiben! Und sicher gab es hier auch einige Geheimverstecke.
Als jedoch August und Henry verschwunden waren, war die Gruppe bereits viel kleiner geworden. Wie schade, Henry war irgendwie so lustig, und bei August wartete sie ja noch immer auf eine Gelegenheit, ihn als Biographen so engagieren. Lucky würde dann wohl auch gehen, von ihr war immerhin der Vorschlag gekommen, und zu zweit Verstecken zu spielen machte nicht halb so viel Spaß.. Außerdem musste sie ja noch ihre Kartei aktualisieren und Aufzeichnungen zum Haus der van Bastens machen. Und in ihr Fallbuch musste sie die ganzen heutigen Ereignisse auchnoch eintragen!
Dann würden sie die Mörderparty eben doch verschieben müssen.
"Also Alexa, ich muss dann auch gehen, immerhin bin ich ja vielbeschäftigt und habe noch an einigen Fällen und Nachforschungen zu arbeiten. Ich hoffe du bringst das Kätzchen noch zum Trinken. Und ach, an deiner Stelle würde ich heute Abend meine Türe abschließen und sicherstellen, dass keine schweren Gegenstände aber deinem Bett hängen. Man weiß ja nie.."
Sie schenkte Alexa ihr liebenswürdigstes Lächeln und hüpfte fröhlich aus dem Anwesen, auf ihr kleines Haus zu.